Sommer 1944

Hameln, 6. August 1944

Auffrischung und Urlaub vorbei. Letzterer durch Telegramm um eine Woche abgekürzt. Freitag erreichte es mich in Laa, Sonnabend früh ab, mittags in Wien weiter. Ich sehe noch Hanna und Onkel Gunther am Bahnsteig stehen und winkend immer kleiner werden. Bassau, Würzburg, Hannover, Hameln, Emmerthal. Dort kreuzt zufällig Lt. Frey auf und nimmt mich mit nach Esperde. Dort steht die Batterie schon marschbereit. Kurzes, herzliches Abschiednehmen von Meyers, Nagels, Volkmanns, Bemkes usw. Blumen, Blumen, herzliche Wünsche, um 16:50 Uhr rollen wir ab. Verladen in Kamein. Am Abend geht’s noch los.

Breuss, Stargard, 7. August 1944

Flotte Fahrt Berlin, Küstrin. Hier stürzt Uffz. Fehlhaber auf Fahrt zwischen zwei Bäumen ab, beide Füße und ein Arm ab! Ein feiner, feiner Kerl damit verloren.

Ebenrode, 8. August 1944

Königsberg, Tapiau, Trakehnen, Gumbinnen, hier Ausladebahnhof. Baumteile evakuiert. Es ist 14 Uhr. Wir warten, bis die Rampe zum Ausladen frei ist. Glühender Sonnentag. - Wenig ostwärts von hier liegt Wirballen. Vor diesem Städtchen standen schon die Russen. - Wieder einen Offizier mehr. Lt. Kiel, Lehrer aus der Gegend von Büttstedt.

Neutrakehnen, 8. August 1944

Alles voll von Truppen und Flüchtlingen. Also keine Quartiere im zugewiesenen Kattenau. Hier natürlich auch nicht. Mit Mühe bekomme ich ein Zimmer in Telefonnähe. Das Bürgermeisteramt wird meine Dienststelle, die beiden Angestellten meine Sekretärinnen. Insofern ist das Verhältnis lukrativ, als Zigaretten abfallen, ein Abendbrot, ein Kaffee mit Kuchen. Arbeit gibt’s auch gleich genug. - Spätabend mit den Quartierfrauen auf der Haustreppe. Ist die Alte scharf, och ott och ott, die Junge ist gut. - Wir sollen am heutigen Abend noch in den Einsatz. Gottlob wurde die 5. und 6. rechtzeitig ausgeladen. Ich wollte noch nicht, ehe die Batterie neu gegliedert ist.

9. August 1944

Papierkrieg, acht KVKs einreichen, Eingliederung der Batterie, Gefechtsausrüstung, Belehrungen. Dazwischen Musik von Königsberg, Kirschen von Frl. Führer, Zigaretten von Frl. Rung. Heute Abend geht’s los. Ich führe die Abteilung nach.

SO Wirballen, 10. August 1944

Nachtmarsch nach Auffrischung ist schlecht, da junge Fahrer dabei und die neuen, unerforschten Maschinen erst ihre Kinderkrankheiten zeigen. So ging der 50 km weite Marsch über Ebendorf, Eydtkau, Wirballen denn auch mit Hindernissen vor sich. Ein Fahrzeug gerät in Brand, eines fährt in den Graben, ein drittes verliert Öl usw. Schließlich habe ich aber doch jede Batterie in ihrer Schneise, wenn auch nach stundenlanger Arbeit. Eine Stunde Schlaf auf dem Waldboden. Und schon gibt’s wieder zu schimpfen. Tarnung, kriegsmäßiges, fliegergetarntes Benehmen… - 9 Uhr Batterietrupps vor. 10 Uhr folgen die Batterien, Stellungen bei Wilkowischken.

Wilkowischken, 11. August 1944

Vorgestern Abend wurde die Stadt, deutsch Wolfsburg, wieder genommen von “Großdeutschland” und die Ostpreußenstellung wieder erreicht. “G.D.” wird herausgezogen und kommt weiter nach Norden. Wir sollen folgen. Die Linie soll von einer der aus dem Boden gestampften Divisionen gehalten werden. Da sehe ich schwarz. Unsere Stellung ist bis jetzt ganz ruhig. Gestern mussten wir oft auf Tauchstationen, die Flieger waren recht lästig. Abends gab’s einen Wolkenbruch mit Hagel, dass uns die Löcher absoffen. Nacht kühl und feucht, also unfreundlich. Heute früh Verbindungaufnahme zum Gr.Rgt., dann Rasur in Fahrzeugstellung, dann Meldung und Bericht bei Rohrbach, dann Stellungserleben bei aufklarendem Wetter. Der Oberst macht Besuch in der Stellung. Wir haben bis jetzt nicht geschossen. Verlust ist Neubert, drei Bauchschüsse als Funker beim VB, schade, der beste Funker. VB gestern Seybodt, heute Müller. Es dunkelt, kühl, die Mücken lästig, viel Sumpf in der Gegend.

12. August 1944, 12 Uhr

Seit der Nacht ist der Ogfr. Kalus abgängig. Verdacht auf Fahnenflucht oder gar Überlauf. Äußerst unangenehm, dieser Skandal, ausgerechnet in meiner Batterie. Der Tag ist ruhig bis jetzt. Ist Kalus übergelaufen, wird er schon noch unruhig werden. Die Sonne brennt heiß und erbarmungslos. Wir schlachten, denn das Vieh geht ohne Pflege sonst ja doch ein. Da hat niemand was von. Gut schmecken späte Sauerkirschen und frische Möhren.

Der Stabsarzt geht eilig in sein Quartier. Die Tür reicht ihm bis zu den Brustwarzen. Klare Folge, er rammt mit dem Kopf gegen den Balken, taumelt benommen in den Raum, dreht sich nach der Tür um und liest über ihr den Spruch: “Selig sind, die da nicht sehen und doch glauben.”

13. August 1944

Gestern Nachmittag ging der Zauber wiedermal los. Heftiges Artillerie-, Granatwerfer- und Orgelfeuer auf breitem Abschnitt. Dann griff er an. Wir schossen die erste Salve mit gutem Erfolg. Vor unserem Abschnitt passierte nichts, links brach er ein und musste von Reserven von GD wieder geworfen werden. Die Stellungsinfanterie war wieder zu schnell stiften gegangen. Übel. Die Nacht blieb ruhig, nachdem er uns am Abend noch eine Orgel-Salve vor die Stellung gesetzt hatte. Märchenhafter Funkenzauber. Heute ist’s bis jetzt bei uns im Ganzen ruhig. Störungsfeuer in der Gegend herum. Links ist es lebhafter. Da knallt’s den ganzen Tag aus allen Arten von Rohren. Die Sonne meint es gut. Zigarettenmangel ist groß.

14. August 1944

Gestern Abend noch Erkundung neuer B-Stelle auf Anregung Kiel. Riesiges Gebäude, unzerstört, 600 m hinter Linie, ausgebrannt und aus allen Richtungen einzusehen. Bei Russen Pak-Stärke nicht zu verantworten. Seybodt findet zudem noch einen Leutnant, der mit uns hierherfuhr, tot auf. Galt bis dahin als vermisst. Beim Rückweg gerieten wir in Iwans Abendsegen. Granatwerfer-Überfälle von berauschender Intensität, während man im dunkelsten Räumchen eines Hauses steht und auf den Volltreffer wartet. Noch einige Male müssen wir springen, ehe ich dem Kdr. berichten kann.

Der heutige Tag ist sehr ruhig. Ich bekomme zwei ROB-Uffze, Kellerborn und Schiefer, beide aus Kassel. Feine Kerle, ziehen zur Lehre mit Kiel gleich auf B-Stelle. Am Abend größeres Schweineschlachten. Regen. Und ein Skat in unserem Salon, einem gesäuberten Zimmer im Haus, um das ich heute meine Gefechts- und Nachrichten­ zentrale eingerichtet habe. Gegen Ende des Skats habe ich, wie oft, das Gefühl, dass Iwan morgen angreift, er war zu ruhig heute - und überhaupt.

Bei Alvitas, 16. August 1944

So kam es denn auch. Gestern Ruhe bis 10 Uhr, dann Trommelfeuer aus allen Rohrarten, großer Aufwand von schwerkalibrigen Orgeln. Es bebt und dröhnt allenthalben, und ich habe meine Sorge um meine zwei Bs samt ihren Punkern. Wie das letzte Mal bricht der Feind links durch und wird am späten Nachmittag bedrohlich. Die links stehende 9. wird ihm wiederum durch indirekten Beschuss lästig, da kommt er mit der Luftwaffe, in einer Weise, die unerhört ist. 1 1/2 Stunden greift er uns an, alle drei Stellungen der Abteilung, mit Douglas, IL II, mit schweren und leichten Bomben, mit Bordkanonen, schmeißt uns die Häuser kaputt und in Brand, zerhaut uns die Leitungen, lässt alle Löcher und Herzen zittern. Ich habe manches gesehen, so etwas nur selten. Personalausfälle habe ich keine. Auch ein nicht wiederkehrendes Wunder. Ein Schwimmwagen-Volltreffer, ein Werfer ausgefallen, mehrere Wagen durchsiebt von Splittern, auch mit der Zug- und Wasserdichte meines Schlittens ist es vorbei. - Lage wird bedrohlich, die Gerüchte noch toller, links Flucht, rechts hält alles, wir sind erkannt, und er kommt auch mit Artillerie. Spätabends Stellungswechsel in erkundete Wechselstellungen. Ich habe den Tag 86 Schuss verballert. Wo wir hinschossen, fand kein Angriff statt. - Wir fangen zurückgehende Infanteristen auf und zwingen sie wieder in Stellung. Noch um Mitternacht ist es sehr unruhig. Das sowieso schon zerstörte Wilkowischken brennt an vielen Stellen, und der Feind zeigt, dass er Munition hat. Am ganzen Horizont blitzt es auf, da und dort sieht man Feuerbällchen hochsteigen - und dann schwere Einschläge mit sprühendem Funkenregen: Stalinorgel.

Kaum Schlaf. 1.40 Uhr zur Abteilung gerufen, Befehl, sofort Stellungswechsel nach Alvitas, als Vorbatterie, Austausch mit I. Abt., die bei uns angebrachter ist mit ihrer größeren Schussweite. Um 4 Uhr begegne ich schon der I. in Alvitas. Ein Tag, dass es eine Schande ist, Krieg zu führen, statt mit der Frau am Arm durch die Felder zu gehen. - Die Bs kommen auch wieder an. Gottlob und heil.

Es war ein wundervoller, ruhiger Tag, und es ist ein klarer, kühler Abend. Vor 20 Jahren saßen wir an solchen vor dem Haus, vor 10 Jahren radelte ich von Apolda nach Jena, vor 5 Jahren war ich noch in Mühlhausen, knapp, ehe der Krieg begann.

Puodis Kiai, 17. August 1944

Gestern Abend schossen wir doch noch ein paarmal. Stellung dicht an der Straße. Panzer um Panzer rollen vorbei, vor. Ein paar zurück, als wir gerade schießen wollen. Sie werden gewarnt, denn es ginge dicht über sie weg. Sie wissen’s besser und winken lässig ab. Also, Feuer. Schwupp, ist der Kommandant im Turm verschwunden, ein anderer springt kopfüber, Beine in der Luft, nach. Die tun’s nicht wieder.

Kurze Nacht. Im Morgengrauen schon wieder los, nach Wirballen, dort Versammlung, Essen, Gliederung. Dann Abmarsch nach Norden. Bei Keturkaimis sehen wir 4 km vor uns die Silhouette von Schirwindt und vom gegenüberliegenden litauischen Neustadt (Naumestis), voneinander nur getrennt durch die Grenze, die entlang dem Fluss läuft, der da entsteht, wo die Schirwindt mit der Sesupe zusammenfließt. Sehr reizvoll auf diese Entfernung, nur ist der Feind schon nahe heran.

Schlechte Karten. Ich verfranse mich, komme aber noch vor den anderen hin, muss wegen Feindeinsicht den befohlenen Bereitstellungsraum ändern, was der Kdr. einsieht. Erkundung und Verbindungsaufnahme von weitem und Nahen eingesehen. Er schießt in der Gegend herum. Beziehen also Stellung im Abschnitt des prachtvollen Fallschirmjägerregiments unter Ostlt. Schirmer (RK). Ich hinter Btl. Teuffen (RK). Rechts hält der “Macher” von Eben-Emael, Major Witzig (RK). Gegen Ende der Erkundung kommt noch ein Fallschirmjäger-Hauptmann mit dem Ogfr. Krassdock, Filmberichter. Der filmt uns nun für die Wochenschau in allen Phasen des Einsatzes. Er fährt auch mit in den scharfen Einsatz und filmt unter Beschuss. Übrigens ein netter Kerl. Da die Feuerstellung sehr problematisch ist, wird es ein fliegender Einsatz. Hinfahrt, Einrichten, Tarnen, Schanzen. Bauern auf Nachrichtenverbindung, so wie die da ist, auf Ziel gerichtet und gefeuert. Und raus im Carrayo! Neue Stellung hinter dem Wald, 500 m zurück, offenbar günstig. Hübsche dralle Mädchen laufen hier herum, sie könnten Deutsche sein. Hier ist noch nicht richtig evakuiert.

18. August 1944

Ruhiger Vormittag, strahlende Sonne. Mittags Einsatzbefehl. Meldung bei Oberstleutnant Schirmer, Zielangabe, Schnellerkundung nach Karte, eingerichtet auf Ziel, und da kommt sein Adjutant, Hptm. Uhlick angefahren. Es brennt anderswo. Kommandoänderung und Feuer! Zivilisten und Haustiere laufen verschreckt durcheinander. Dabei wieder hübsche, blonde Mädchen. Beim Rgt. Gef.Std. werden wir aufgehalten – sollen nochmal schießen. Munitionsnachschub – Übernahme auf Straße bei Barazui – und wieder in alte Stellung, und wieder Feuer – diesmal in Gegenwart Oberstleutnant Schirmers. Nach dem Schießen verschwindet er sehr schnell. Das Feuer war gut und wird von allen in Superlativen gelobt. Nachtigall, ich hör dir trapsen. Sie wollen uns nur warmhalten. Der zweite Feuerschlag wird wieder von PK geknipst. Stellung lag bei Bukliai – hinter den Bäumen eines Gutes. Hübsche Stellung.

Rest des Tages verläuft ruhig. Bis heute 205 Schuss verschossen.

19. August 1944

Ruhiger Vormittag, wolkenloser Himmel. Mittags Erkundungsbefehl für Stellungen, falls im Süden mal was los ist. Erkunderkommando mit Vertretung der 8. und einem meiner Schüler. Einweisung durch Schirmer, zur Eile angespornt, da er Angriff erwartet, und ob! Als ich mich im Wagen mal umdrehe, oh Schreck! Himmelhohe Qualmwolken hinter uns. Der Angriff hat in unserem Abschnitt begonnen. Nun beginnt’s auch bei uns hier zu schießen. Was nützt es! Erkundung muss fortgesetzt werden. Mit Vorsicht und viel zu Fuß. Hitze, Schweiß und Durst. Gelände schlecht. Entsprechend schlecht und recht finden aber rechtzeitig zurück zu Schirmer und Major.

Indessen hat der Russe dreimal angegriffen, wurde dreimal abgeschmettert. Der Kommandierende General zollt Dank und Anerkennung den schweren Waffen, besonders den schweren Werfern. Das sieht dann beim Fallschirmjägerregiment so aus: Sie fangen russischen Funkspruch auf, sie griffen erst wieder an nach Vernichtung der schweren Waffen. Nun, so schwere hatten die Jäger noch nicht hinter sich, und sie wollen uns behalten und erhalten. So raten sie uns dringend Stellungswechsel, aber die Zielräume bleiben bestehen. 8. wechselt, ich bleibe, und lockere die Stellung nur auf, Werferabstände werden verdoppelt, Böcher weiter verstreut, Fahrzeuge auf drei Höfe verteilt. Was kommen soll, mag nun kommen.

20. August 1944

Heute ist wieder Ruhe, Iwan hat wieder die Schnauze voll.

21. August 1944

Gestern Mittag: Wieder Befehl zur Erkundung für Abteilungseinsatz, mit Lt. Strötchen, Wm. Müller, Uffz. Schiefer. Fahrt in Richtung und an Reichsgrenze. Bei Bartztal über die Schirwindt nach Deutschland, durch ostpreußische Streudörfer, groß, teils geräumt, nach Inglau, südl. Schillfelde; Meldung bei Ia 1.J.D., hoher, schlanker Major, guter Eindruck. Der General, Generalleutnant von Krosigk, macht einen bequemen Eindruck, kleiner Mann, beweglich, schlicht, mit RK. Dann kommt gar noch ein Generaloberst mit RK und Eichenlaub. Heute soll Angriff steigen, wir sollen ihn unterstützen. Ich werde dem Arko 6, Oberst Stud, zugewiesen. “Greis …, nicht zu helfen weiß.” Ich sage ihm fünfmal, dass die Abteilung abgerufen werden muss, wenn sie rechtzeitig eintreffen soll. Nie nimmt er richtig auf vor lauter Vorgesetzten-Nervosität. Schließlich meint er, hier ginge alles durcheinander. “Jawohl, Herr Oberst, das merke ich.” Sein Adjutant feixt, aber er saust mich nicht mal an. So fahre ich auf Erkundung, finde leidlich Stellungen für die Abteilung in diesem flachesten Gelände und komme um 22.30 Uhr zum Arko zurück, um zu erfahren, dass wir in der alten Stellung bleiben. Rückfahrt über Schirwindt, trostlos zerstört und menschenleer, 2 km hinter HKL. Dann nach Neustadt (Naumestis), ebenso trostlos. Um drei Uhr endlich wieder da.

Am Nachmittag greift Iwan nördlich von uns an. Wir schießen auch. Eine Panzerbrigade wird vernichtet (sie hatte noch 10 P.) und eine Division angeschlagen. Schweres Granatwerferfeuer in die Stellung.

Großes Fest, Marketenderwaren sind da und damit Zigaretten. So geht’s uns besser.

22. August 1944

Noch immer in der alten Stellung. Wetter glänzend, Lage ruhig. Skat und Musik.

23. August 1944

Beunruhigend ruhig und ein verdorbener Magen. Wetter herrlich, Nacht sehr kalt. Major verleiht 4 KOK II.

Noch einen Offiziersschüler bekommen. Oberschirrmeister Pamula. Aktiv, recht guter Eindruck, wenn er kein Angeber ist. - Aufklärer über uns. Bis jetzt noch immer beängstigende Ruhe. - Verschusszahl: 346.

25. August 1944

Das Wetter ist wie ein Märchen. Viel zu schade für den leidigen Krieg. Leidig? Ja! Der unbeteiligte Philosoph mag an ihm noch Züge finden, die hehr sind. Zweifelsohne sind sie da. Jeder Tag zeigt sie von Neuem in Gestalt hervorragender Einzeltaten, Leistungen aus bestem Blut. Aber gerade dieses beste Blut ist schon zu reichlich geflossen. - Heute ist der Krieg ein Ringen mit dem Ziel, alle Beteiligten zu erschöpfen. - Die Nachrichten sind auch nicht schön. Rumänien ist Feind geworden, die Engländer sind in Paris. - Sachliche Gründe für unseren Sieg sehe ich nun nicht mehr. Nun kann man nur noch glauben und hoffen. Hoffen kann ich, mit dem Glauben hat’s bei mir von jeher gehapert, wenn ich keine sachlichen Grundlagen hatte.

Nachmittag Chefbesprechung beim Kommandeur. Anschließend Erkundung meiner Feuerstellung für den Fall, dass die Linie zurückgenommen werden muss. - Wir sollen nun auch neben unseren schweren Wurfkörpern auch 15er verschießen. Das wird noch ein Theater. Lauer Abend. Interessierte versammeln sich um das Radio und hören Nachrichten und Musik. - Gespräche mit Leuten und Unteroffizieren. Anständige Gesinnung.

26. August 1944

Wolkenloser Himmel. Aufklärer, leichtes Artillerie-Störungsfeuer. Große Aufregung bei den Zivilisten. Zwei besoffene Landser haben zwei recht hübsche Mädchen angeblich mit der Pistole bedroht. Hysterisches Geschrei und dicke Tränen, was verständlich ist. Gegenmaßnahmen meinerseits. Das Gehöft wird von den Flieger-MG-Posten bewacht. Die Kerle möchte ich wirklich fassen.

27. August 1944

Ruhiger Tag. Artillerie-Störungsfeuer. - Ich schieße mich mit einem Werfer aus der Wechselstellung auf Kai 15 ein. Geht ganz gut, jedoch große Streuung. - Nachmittag Briefeschreiben und Gedenken an die schönen Zeiten zu Hause. Abends übliches Ferngespräch mit Schramm, der mir sonderbare Andeutungen macht.

28. August 1944

Immer stärker werdende Luftaufklärung des Feindes. Man muss dauernd auf dem “Qui vive” sein, damit die Stellung nicht verraten wird, was unangenehm werden könnte. Oberst Böhm verlässt das Regiment, übernimmt eine Brigade. Rohrbach i. V. das Regiment, ich als jüngster Oberleutnant der Abteilung, i. V. die Abteilung. Ehre und Arbeit. Sofort tritt eine Reihe neuer Entschlüsse vor mich. Recht unangenehm, aber es wird schon schiefgehen.

Vor Wilkowischken, 29. August 1944

Übelkeit, Schlappheit, Essen und Rauchen schmecken nicht. - Besuch von Lt. Kiel, während ich bei ruhiger Feindlage langliege. Dann kommt der Major, stöbert mich auf - Befehle, Überfalleinsatz bei Wilkowischken. Wieder Entschlüsse, die in ihrer Fülle und Tragweite doch noch ungewohnt sind. Dazu muss ich Takt walten lassen, denn die Chefs sind dienstälter als ich. - Besuch zum Abschied bei Schirmer und Teichert. Beide bedauern sehr unser Fortgehen, denn ihr Abschnitt wird damit recht schwach. Schirmer knöpft mir noch zwei Feuerschläge vor dem Abrücken ab. - Wir sollen nun schwere Feuerwehr für das Korps spielen. Zwischen der Memel und Wilkowischken.

Für Wilkowischken Erkundung schwierig wegen eingesehener kümmerlicher Anmarschwege. Nur schießende Teile vor, Rest der Gefechtsbatterien erkunden neue Stellung im alten Raum, Gefechtstroß verlegt nach Wirballen. - Orientierung nicht einfach, Karten schlecht. Besuch bei Inf.-Regiment, Major Küls, netter Mann, gutes Aussehen, groß, hager. Da erfahre ich, dass wir einen Angriff mit begrenztem Ziel unterstützen sollen. Um Mitternacht, eben, sind wir feuerbereit, und um 4 Uhr soll es losgehen. Regen.

Bei Alvitas, 30. August 1944

Es ging erst um 4.30 Uhr los. Für die angreifende Infanterie war es noch zu düster. Aber es wurde ein glanzvoller Feuerzauber. Zwei Abteilungssalven in 5 Minuten, d. h. über sieben Fo, die leichte Abteilung schießt mit zwei Batterien Spreng, mit einer Nebel zur Abschirmung der Pak-Stellungen aus der Flanke über dem Paseriaisee. Dann schießen Granatwerfer, leichte Artillerie und, was sonst noch über Rohre verfügt.

Nach der zweiten Salve rollen wir ab und ziehen in die alten Löcher bei Alvitas, wo wir vor 14 Tagen waren. Wetter gut. Regen hat nur angefeuchtet, sehr angenehm. - Besuch bei Gr.-Rgt. Oberstleutnant von Bülow. Er schläft. Nicht zu sprechen. Gut, kriegt er 2 VBs an Strippe gelegt. Und dann zum Regiment, Besprechung mit Rohrbach. Recht nett, obwohl dienstlich. Besuch beim Stabsarzt in Wirballen.

Zum Gefechtsstand zurückgekommen, soll gleich zu Bülow. Lenke nicht dran. Jetzt bin ich müde. Gegen Abend Besuch dort. Gibt mir ein Ziel, recht kitzlig.

Zum Gef.Std. zurück, Überfalleinsatzbefehl liegt vor. Schnellerkundung. Stellung soll 1 km hinter HKL liegen, zu einem Feuerschlag auf feindliche Artillerie. Erkundung ergibt, dass Stellungsraum vermint. Also Umstellung auf 15er. Änderung der Planung, Neuerkundung im Dunkel, Meldung an RGT, Genehmigung, Batterien vertauscht, Munitionierung veranlasst, alles zeitraubend. Umstellung auf 15 braucht eine halbe Stunde Arbeit am Gerät, vorher muss entladen werden, dann in eine 15er-Stellung fahren, laden, dann erst in Feuerstellung. So werden wir um 5 Minuten zu spät fertig, was Bülow nicht übelnimmt.

Beim Schießen auf v. Bülows Ziel passiert mir Peinlichstes. Ausgerechnet ich verhaue mich beim Verschlüsseln der Koordinaten, und die Schüsse gehen hinter die HKL. Es passiert gottlob nichts. - Bei neuem Schießen berichtigt, legen zwei Einschläge, Streuer links in die HKL. Zwei eigene Mann werden ohnmächtig weggetragen. Dafür können wir ja nun nichts.

21.35 Uhr schießen 8. und 9. 15er auf die Artilleriestellungen, nach der I. Abt., und 7./30er auf v. Bülows Ziel. Verschusszahl meiner 7. nun 432.

31. August 1944

Im Ganzen ruhig. Artillerie-Störungsfeuer auf Rollbahn. Munitionskarren und Organisation von Nachschub. - Besuch des Kommandeurs, Ankündigung von Stellungswechsel.

Wirballen: Hier sammelt die Abteilung. Chefbesprechung. Es geht nach Schaken. Olt. Doele benimmt sich blöde, ich kann mir nicht helfen, er ist mindestens drei Jahre älter, aber ich saue ihn an. - 70 km Marsch vor uns. Batterien marschieren einzeln. Ich mit Stab voraus.

Vor Schaken, 1. September 1944

Zügige Fahrt. In Schilfelden werden wir angehalten und warten. Major kommt mit neuen Informationen über HKL und empfehlenswerte Stellungsräume. - Nun muss es schnell gehen. Es ist noch nichts erkundet. Auf verschlungenen Wegen kommen wir im Morgengrauen an. Aufklärertätigkeit Iwans. Leutnant Schramm erkundet für 8., Lt. Kuhnert für 7., ich für 9. und nehme Verbindung auf zu Div. Gruppe Rieger (DK) und Artillerie. Verstärkung der Fliegertätigkeit. Mit Mühe kommt alles in Stellung. Flieger werden immer lästiger.

11 Uhr Trommelfeuer. Der Russe greift an. Nun überschlägt sich’s. 8. und 9. schießen, was Rohre hergeben, schwieriger Munitionsnachschub. Flieger ununterbrochen in Aktion. Kein einziger eigener. 7. liegt in schwerstem Feuer, Volltreffer auf Werfer, Munition spricht an, und weg ist er, Stellung brennt, Notzündung. Unter vorbildlichem Einsatz gelingt es, die Batterie vor dem Feuer zu retten. Ich reiche Seyboth zu EK ein. - Die Verbindung zur 7. wird zerschossen und lässt sich trotz 4-stündiger Arbeit nicht wiederherstellen. - Feind bricht ein, schlechte Infanterie geht zurück. Feind dringt in Schaken ein und marschiert schon aus Schaken nach NW, auch SO Einbruch. So werden die Stellungen der 8. und 9. offen. Ich befehle Stellungswechsel. Währenddessen toben die Fliegerangriffe weiter. Zwei Mann auf Gef.Std. bei mir werden verwundet. Nach beweglichster Führung, 8. nach 6-mal Stellungswechsel, 9. 2-mal, 7. 1-mal, ist’s soweit, dass eigene Gegenmaßnahmen anlaufen und bis zur Nacht die Lage soweit wiederhergestellt ist, dass Schaken wieder unser ist. Und die alte HKL zur Not wieder erreicht. Verluste in Abt.: sieben Verwundete, 7. wie durch ein Wunder nur zwei leichte. Sonst noch Lt. Schramm und Ströttcher.

2. September 1944

Feindliche Bereitstellungen erkannt. Ich bekämpfe sie mit der ganzen Abteilung. Es bleibt den Tag über ruhig.

Einzelheiten von gestern: In Schaken wimmelte es von Russen. Die russischen Flieger halten diese Figuren für Deutsche und bombardieren, dass Gott erbarm, und zersprengen so ein eigenes Bataillon. - Gefangene sagten aus, sie hätten Befehl gehabt, die Reichsgrenze zu erreichen. Das Werferfeuer hätte ihnen besonders zugesetzt und hätte sie angeknackt.

Oberst Blaurock (RK) bei Rieger. Werde ihm vorgestellt, meint, es wäre unserem Feuer zu verdanken, dass der Russe heute nicht angegriffen hätte. Wie überall sind wir auch hier gerne gesehen.

Am Spätnachmittag übernimmt Kohrbach wieder die Abteilung und saust mich an wie noch nie: 1. Meine gestrigen Meldungen zur Gefechtssituation waren nur negativ, nur schwarz. Ich müsse in Zukunft gegen mich selbst angehen. Dazu: Meine Meldungen waren bewusst sachlich. Ich kann nicht rosarot melden, wenn die Infanterie in Scharen zurückgeht, der Russe an zwei Stellen und in Schaken eingebrochen ist und er von zwei Feuerstellungen aus zu sehen ist. - 2. “Wir haben bei Wilkowischken gehalten und bei Puodiskiai, und überall ist es gut gegangen. Und Sie schieben die Batterien herum ohne Not!” Ich habe die Batterien herumgeschoben, aber mit Not. Aus meiner Schau und Verantwortung.

Schließlich lässt er sich mit Einschränkung versöhnen. Abends übernehme ich wieder die 7.

3. September 1944

Kurzbesuch des Kommandeurs. Gegen Mittag kommt der neue Regimentskommandeur. Einseitig bekannt seit drei Jahren von Bremen her. Major von Freyberg. Er meckert meine Stellung an, und ich sage “Jawoll”, er ist mir vom ersten Augenblick an unsympathisch. Die Werfer sind zu eng, nur drei, und die Munition ist nicht eingegraben, usw. Man tut als alter Krieger manches aus Gefühl ohne Begründung.

Der Tag verläuft ruhig. - 3 Mann neu zu Unteroffizieren befördert: Fischer, meinen alten Fahrer, alter Stabsgefreiter; Mandel, meinen bewährten, netten Fernsprechtruppführer, ehrliche, anständige Haut, diese wie gegerbt und gekerbt von Landarbeit und Leben; Linke, den jüngsten, Schlaks, aber tüchtig und schneidig. - Vom Stabszahlmeister bekam ich 1.000 Zigaretten. Persönlich. Über die glückliche Rückkehr der Batterie aus der Stellung vom 1. September derart froh, habe ich 900 davon gestern an die Leute verteilt.

4. September 1944

Ruhiger Sonnentag. Dolce far niente. - Gepäckrazzia. Manch unnötiger Kram fliegt von den Fahrzeugen. - Am Abend versammeln sich die Leute um den Lautsprecher, um die nicht gerade guten Nachrichten abzuhören. Anschließend etwas Musik. Etwa 22 Uhr Abmarsch-Vorwarnung. 9. soll zuerst, dann 8., dann ich, weil mein B am weitesten weg ist.

Bei Alvitas, 5. September 1944

Der Abmarsch klappte ganz gut. Ich wähnte mich am Ende der Abteilung und legte ein flottes Rollen hin, altbekannte Strecke Grenzhöhe, Schillfelde, Ebenrode, Eydtkau, Wirballen in die alten Löcher. 4.15 Uhr Eintreffen, 4.30 Uhr feuerbereit. Mir ist unklar, warum dieser plötzliche Stellungswechsel. Da muss was los sein. Kdr. ist noch nicht da, so fahre ich auf eigene Faust zum Gr.Rgt. v. Bülow. Freudig begrüßt. Los sei nichts. Nur ist beobachtet worden, dass der Russe am Bahnhof Wilkowischken auslädt. Also mussten wir her, da Angriff nicht ausgeschlossen. Gegen 6 Uhr komme ich zurück, da ist die 9. eben eingetroffen und die 8. noch nicht da. Die Konkurrenz für diesmal wieder abgehängt. – Kdr. reißt mich aus dem Vormittagsschlaf und lobt und spricht von eben alter Erfahrung und Routine.

Heute vor einem Jahr Stiftegarn von Kononenkotff, unvergesslich. B meldet Ruhe, und den ganzen Tag passiert nichts.

6. September 1944

Ruhe. Einige Aufklärer bei wundervollem Wetter. Hauptmann Theurer, NSFO-Division, zu Besuch. Kreisleiter aus Bayreuth. Er interessiert sich für die Werfer, ich für einen Bericht von der NSFO-Tagung beim Führer. Er lässt sich die Rosinen aus der Base ziehen. Jedenfalls ist was im Gange.

Das erhellt auch aus einem Artikel des Kriegsberichters Fernau in der „Panzerfaust“. Er geht von Hand zu Hand und erregt die Gemüter freudig. – Ich lese ihn den Leuten vor. Reaktion nicht deutlich. – Der Artikel ist offen und spricht klar von Verlust und Niederlage, aber eröffnet ein grandioses Zukunftsbild. „Dann wird es ein Gefühl sein, als wenn nach einer tosenden, lärmerfüllten Gewitternacht am nächsten Morgen ein Tag anbricht, ganz still, ganz klar alles, ganz einfach alles, nichts Furchteinjagendes mehr, nichts Bedrohliches. Die ganze vergangene Nacht ist einem dann fast unverständlich.“

7. September 1944

Lebhaftere Luftaufklärung. Sonst Ruhe. Das meldet auch B. Nachmittag in Wirballen bei RGT, Gespräche mit Hillebrandt und Krantz über Krieg und Weg.

Am Abend kommt Roßbach und schüttet Orden aus: Meinsch EK I, Heiermann, Krantz, Schyraceck EK II, Göllenboth, Gesell, Wolter, Hoffmann Heinrich KVK II.

8. September 1944

Hannas Geburtstag ist ruhig. Keine Feiermöglichkeit, nicht mal ein anständiges Essen, aber … ein liebes Gedenken.

Nachmittag richtet der Rgt. Kdr. zur Begrüßung Worte an die versammelten Offiziere der Abteilung. Reichlich dünn und farblos, uneigenständig. Er sieht beim Sprechen zu Boden. – Anschließend Chefsbesprechung. Was er meint, ist teils bekannt, teils wird es abgelehnt.

Am Abend schärfster Doppelkopf.

9. September 1944

Nachts weckt mich das Getratsche des Regens. Auch der Vormittag ist sehr feucht. Damit ist der Sommer gebrochen, und die Treibsatztemperaturen, die die Schussweite verlängern, sind dahin.

Gegen Abend wird es wieder schön. Kühl. Leutnant Frey kommt zur I., Gott sei Dank, Kiel wieder zu uns. – BK Kelterborn kommt zurück und meldet, Freyberg hätte die B-Stelle bemängelt. Zu weit hinten, und man sähe nichts. – Was versteht er denn davon! Ich werde mir die Sache selbst ansehen.

10. September 1944

Im Morgengrauen mit Rißland, Kelterborn und einem Fernsprecher los. Wie schon gesagt, Freyberg versteht nichts davon. Von der bisherigen B-Stelle sieht man am besten, aber sie ist exponiert und 300 m weit ab vom Bataillonsgefechtsstand Tschirner. Die neue ist nicht so exponiert, aber man sieht weniger, ist aber näher an Tsch. – Mir ist’s recht so.

8 Uhr zurück. Voranmeldung Freyberg. Alles schanzt. Gespannt, was er nun zu meckern hat.

11. September 1944

Im ganzen ruhiger Tag. Nur Ratsch-Bumm schießt ein paar Schuss jenseits der Straße, NO von uns.

Abends Sauhatz: Zwei Spanferkel werden von der ganzen „Gruppe Führer“ bis zur beiderseitigen Erschöpfung gejagt. Gruppe Führer siegte. Die Ferkel stehen nun im Stall zur Mast. – In der Hühnerkiste sitzt ein Kaninchen. Große Ratlosigkeit bei Hühners. Drei sitzen auf dem Kistenrand, Köpfe tief gesenkt, und starren in die Tiefe. Als Herr Hase eine Bewegung macht, mit Gekreische davon. Schließlich müssen sie gefangen werden.

Dauerskat mit Seyboth und Arnold. Gegen Mitternacht heftiger Gefechtslärm aus NO, rot-weiße Leuchtkugeln, Detonationen und Gewehr- und MG-Feuer. Telefonische Erkundigungen ergeben nichts Neues.

12. September 1944

Wir stehen mit Rußland in Verhandlungen. Das muß stimmen. Ein Divisionskommandeur hat es gesagt. - Vor zwei Wochen wurde dasselbe von England erzählt.

Der Spieß samt Rechnungsführer und den Schirrmeistern kommen endlich wiedermal. Da gibt’s viel zu besprechen, und der Vormittag vergeht im Nu.

14. September 1944

Mann ohne Waffen und Gerät der 3. kommen nach Deutschland zur Neuaufstellung. Wir müssen für die neue 3. Leute abgeben, ich gebe 15 Mann. Natürlich nicht die allerbesten, sondern Quer­ schnitt, Gute und Schlechte. Als sie dann dastehen zum Abschied, tut’s mir um jeden leid. Der Ärger miteinander kettet auch zu­ sammen.

Spieß wieder da wegen der Abgaben. Nachmittag in Wirballen in der Fahrzeugstellung. Besuch bei den Stabsärzten. Spieß zieht mit beleidigter Schnauze ab, weil ich seinen Troß verdächtigerem Likör ausgetrunken zu haben, und den Männern im vorderen Helden­ gebiet den Fusel angeboten zu haben. - Abends nochmal kurz bei Kdr.

Nun besehe ich mir den Schaden und sehe, daß ich die Batterie mannschaftsmäßig bis zum letzten ausschöpfen muß, um die 5 Werfer besetzt halten zu können. - Vor 2 1/2 Jahren hatte die Batterie 160 Mann Soll. Heute 140, davon fehlen mir 30.

15. September 1944

Es herbstet stark, nachts sehr kalt, tags nicht sehr warm. Beim abendlichen Doppelkopf pflegen wir zu frieren.

Wir bauen heftig Bunker. Wenn sie fertig sind, rücken wir bestimmt ab.

Infanteristen und Sturmgeschützer erzählen, bis 25. müßte alles eingegraben sein, dann kämen die neuen Waffen zum Einsatz. Sol­ chen Blödsinn klammern sich viele mit ihren Hoffnungen. Meines Burschen Herzbergs Tante schreibt ihm, Ley hätte in Leipzig gesagt, in 6 Wochen, also noch im September, ginge es los, da fielen die Flugzeuge nur so vom Himmel.

Spaziergang mit Seyboth. - Besuch von Heinz, dann kommt noch Hillebrand auf ein Röstbrot mit Zucker.

Am Abend erzählt Kiel zum zehnten Male, daß er Tabakblätter nach Hause geschickt habe und nachträglich bemerkt habe, daß es Kohlblätter waren.

Die Postverhältnisse sind unsicher. Man hört viel, daß Pakete nicht ankommen, oder wenn, dann leer.

16. September 1944

Langer Schlaf. Draußen wundervolles Wetter. Aber kühl. Treibsatz­ temperatur nur noch 5,5 Grad. Luftgewichte sehr hoch. Also ist der Zuschlag für die Schweren Werfer jetzt schon 100 m.

Zwei Mann losgeschickt zu Mohnsammeln. Weizen sind wir dabei zu besorgen. Das soll einen Mohnkuchen geben. Für die Batterie. Seyboths Stall beherbergt 7 Hühner, im Schweinestall stehen 4 Ferkel. Sie nehmen zusehends zu.

Seyboth ist krank und liegt. Kiel trägt eine Perücke, lange be­ kannt, aber hier noch nicht vermerkt.

17. September 1944

Gutwetter. Bunkerbau schreitet rüstig fort. Ich habe kleine Bunker befohlen, denn je kleiner, desto sicherer und fester. Bei der Vermittlung grub sich ein Loch 3,5 x 4 m. Na, sie grub ein neues. Leider stoßen wir überall auf Wasser. - Sonst Ruhe.

18. September 1944

Beobachtungsstellentausch mit 9. So kommen wir mit der Beobachtung hinter den Abschnitt der Fallschirmjäger zu stehen.

Mein Antrag geht durch: Ich habe beide Kaliber in Feuerstellung liegen, schieße auf große Entfernung mit 15ern, auch vor Schirmers Abschnitt, auf kurze mit Schweren. Dazu ist große Beweglichkeit der Feuerleitung und der Kanoniere notwendig.

Wir bringen weiter Weizen und Mohn ein. - Lage im Ganzen ruhig. Leichtes Störungsfeuer Iwans.

Nachts ist immer was los. Das schießt die ganze Zeit, von Dämmerung bis zu Dämmerung. MGs, Gewehre, Leuchtkugeln. Ist aber nur Nervosität und Abschreckung vor Unternehmungen.

19. September 1944

Ein Tag wie der andere, ruhig und wolkenlos. - Die Bunker werden langsam beziehbar. So in zwei Tagen.

Mittagessen: Huhn und rohe Klöße. - Mit dem Essen ist das seit längerem so: Früh Kaffee, kalte Kost, abends warmes Essen und Kaffee. Für Mittag hilft man sich selbst. Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln usw. gibt’s genug, also auch Bratkartoffeln und andere Erzeugnisse. Mit dem Viehzeug nur steht’s schlecht.

Nachmittags B-Stellenerkundung westlich Drebuline, 6 km N von hier. Zusammen mit Seyboth. Nachts Ausbau.

Besuch des Regimentsführers. Er besieht die Bunker und findet sie zu klein und zu dunkel. Er versteht nicht viel davon. Die Bunker der anderen Batterien seien heller und wohnlicher. Kann ich mir denken. Boele allein hat einen Bunker 4 x 6 m mit Klubsesseln. Der wird noch staunen, wenn hier der Rabbatz losgeht.

20. September 1944

Bunker reifen immer weiter. Vielleicht ziehe ich morgen schon ein. Theoretisch und erfahrungsgemäß könnte jetzt Stellungswechsel kommen.

Wetter sehr gut. Sonne und kühl. Ich stelle jetzt Versuche an mit der Entwicklung der Treibsatztemperatur im Tageslauf. Dabei kommen tatsächlich Erkenntnisse zutage, die meine bisherigen Erfahrungen und Annahmen widerlegen. Die Temperatur fällt, Folgen der Nacht, noch bis 11 Uhr und steigt mindestens bis 20 Uhr, wo es schon kalt ist.

Dann werden fleißig Wetterspinnen gerechnet. Viel Arbeit, aber Übung muss sein, und wenn geschossen wird, dankt die Feuergeschwindigkeit.

Spätabend kurzes Einschießen und dann Wirkungsfeuer auf einen russischen Gefechtsstand. Mit Kal. 15.

Besuch des Majors, der mir Zigaretten bringt. Und eine Menge Befehle und Mitteilungen.

Neue B-Stelle im weiterem Ausbau. Ich bohre in Sachen Chef-Behrgang in Gelle. Kommandeur will nicht anbeißen, es käme für mich nicht infrage … als hätte ich nichts zu lernen. Ich bekomme richtig Achtung vor mir.

Meine Fehlstellen machen mir richtig Sorge. Ich merke sie überall. Mein Flieger-MG kann ich z.B. nur mit einem Mann besetzen.

21. September 1944

Wm. Göllenboth, Mun.-Staffelführer, Zimmermeister und mein Baumeister ist berufsehrgeizig. Trotz Fieber und Geschwüren im Ohr kommt er täglich aus Wirballen zum Bunkerbau.

Störungsfeuer der russischen Artillerie lebt auf. Viele Brüder täuschen. Tatsächlich haben sie Artillerie nach Schaken abgezogen.

Der letzte Abend im alten Gefechtsstand, morgen geht’s in den Bunker. Wenn’s nicht anders kommt.

Abendlicher Doppelkopf mit allen dekadenten Runden

22. September 1944

Störungsfeuer des Iwan wird stärker. Er schießt auch in unsere weitere Gegend. Sonst Ruhe und Wind und auch mal Regen, dann Sonne.

Der Bunker ist fertig. Abends ziehen wir ein. 17 Uhr Anruf: “Es ist zu ruhig hier, außerdem regnet es und ist kühl, und die Bunker sind fertig. Wir suchen Luftveränderung. Bereiten Sie vor!”

Da haben wir den Salat, genau wie schon wochenlang befürchtet aus bitterer Erfahrung.

21 Uhr Chefbesprechung beim Kommandeur. Es geht Richtung Warschau.