Zwei römische Soldaten

Michael Schmidt

Kapitel 19

Klophas ging zum Tempelhäuschen, vor dem jetzt rechts neben der Tür eine Sitzbank stand, die mit einigen großen, davor gestellten Pflanzen vor Blicken von außen geschützt war. Auf der Bank saß Sophia und erhaschte einen der Sonnenstrahlen, die um diese Zeit an die Stelle hinter dem Haus schienen. Sie stand auf. Klophas machte ein Handzeichen, dass sie nicht zu ihm kommen sollte. Klophas: „Sophia, du musst vorsichtig sein! Wenn du zu weit herauskommst, kann man dich vom Olivenhain gegenüber sehen.“ Sophia: „Du passt auf mich auf.“ Sie lächelte Klophas an. „Aber es ist nicht gefährlich. Wer ist schon in diesem Olivenhain?“ Sie trat ein wenig heraus. Klophas legte ihr seine Hände auf die Schultern: „Nur so weit! Josef hat mir gesagt, ich soll mit dir streng sein.“ Sophia: „Und ich sage dir, du musst mit mir nicht streng sein. Ich habe meinen Weg. Ich kann mich nicht verlaufen.“

Sie stockte und schaute überrascht nach links, dann nach rechts. Klophas: „Was ist?“ Sophia: „Irgendetwas passiert gerade. Ich gehe lieber ins Tempelhäuschen.“ In dem Augenblick kam Josef den Weg hoch: „Schnell! Sophia, geh da rein. Es kommen Leute, und ich glaube, nicht in guter Absicht.“ Klophas schaute ihn mit großen Augen an. Sophia verschwand durch die Tür des Tempelhäuschens. Klophas lief über den Hof, bis er eine Gruppe von etwa zehn Männern den Weg im Tal herauskommen sah. Er konnte noch nicht erkennen, wer es war.

Josef meinte zu Klophas: „Ganz normal arbeiten. Das ist jetzt wohl das beste.“ Klophas: „Wie viele sind es?“ Josef: „Zwölf Leute.“ Klophas: „Okay.“ Er stellte sich an die Werkbank, nahm einen halbfertigen Fensterrahmen und legte ihn auf den Tisch. Er nahm eine Feile und begann, ihn an einer Seite zu bearbeiten. Josef stand mitten auf dem Hofplatz und schaute mit verschränkten Armen der Gruppe entgegen, die jetzt bald den Weg zum Hof heraufkommen würde. Er erkannte den Priester aus Nazareth, er lief mit einem anderen Mann zusammen vorne weg. Josef atmete tief ein und aus. Als die Gruppe noch einen Steinwurf von Josef entfernt war, traten der Priester und der andere Mann, links und rechts zur Seite, und hinter ihnen sah man zwei Männer in römischen Uniformen erscheinen. Die waren vorher nicht zu sehen gewesen. Josef schloss kurz die Augen. Klophas schaute von seiner Werkbank aus fasziniert auf die Soldaten. Es war das erste Mal, dass er römische Soldaten sah. Marias Vater war einer, aber das hatte er bisher nur gehört.

Der Priester trat Josef entgegen und blieb vor ihm stehen. Die römischen Soldaten stellten sich neben ihn. Josef und der Priester schauten sich eine lange Zeit an. Josef: „Sei gegrüßt, Priester! Was wollt ihr diesmal? Wohne ich euch immer noch nicht weit genug von der Stadt weg?“ Priester: „Es geht um ernstere Dinge, diesmal.“ Josef: „So ernst, dass du zwei römische Soldaten mitbringen musst?“ Priester: „So ernst.“ Josef schaute ihn überrascht an. Priester: „Es geht um Ehebruch.“

Josef ließ seinen Blick nicht vom Priester ab: „Ich habe keine Frau, ich hatte nie eine. Warum kommst du zu mir wegen Ehebruchs?“ Priester: „Es gibt den Verdacht, dass hier ein Kind heranwächst, dass außerhalb der Ehe empfangen wurde.“ Josef: „Bei mir?“ Priester: „Es geht um Sophia. Sie ist bei dir.“ Er schaute Josef eindringlich an. Josef schaute zurück: „Warum soll sie bei mir sein?“ Priester: „Es ist der einzige Platz, wo sie sein kann, außer bei ihrer Mutter oder Elisabeth.“ Josef drehte sich um und rief zu Klophas: „Klophas, ist Sophia, die Tochter von Anna, hier?“ Klophas rief zurück: „Ja, wir halten sie im Tempelhäuschen versteckt. Das weißt du doch.“ Der Priester schaute Josef überrascht an: „Ja, wirklich? Ein Klophas lügt nie, das weißt du.“ Josef wartete eine kurze Zeit und lachte dann laut: „Ja, stimmt! Wir halten sie dort versteckt. Du kannst gerne nachschauen.“ Priester: „Die Lage ist ernst! Ich mag deine Späße nicht. Es geht um Leben und Tod.“ Er drehte sich um und deutete zwei Männern an, in der Scheune zu suchen, zwei in der Schreinerei, zwei im Haus. Die übrigen außer den Soldaten schickte er zum Tempelhäuschen.

Josef fragte ihn: „Und warum Soldaten? Wieso mischen sie sich hier ein?“ Einer der Soldaten schaute ihn an und sagte: „Du bist aus dem Haus Davids, richtig? Herodes hat befohlen, dass alle männlichen Nachkommen der früheren Königslinien überwacht werden.“ Josef schaute ihn nachdenklich an. Soldat: „Wenn Sophia ein Kind von dir bekommt, kann das ein Thronfolger sein. Dann …“ Josef: „Bringt ihr es um? Ich dachte, das macht ihr nicht mehr? Ich dachte, das ist vorbei?“ Soldat: „Dann wird er registriert. Nichts weiter.“

Josef: „Aber der hier“, er deutete auf den Priester, „würde seine Mutter steinigen lassen, noch bevor das Kind geboren ist.“ Soldat: „Wir mischen uns nicht in eure Gebräuche ein.“ Josef: „… solange sie keine römische Bürgerin ist.“ Soldat: „Solange sie keine römische Bürgerin ist. Sonst wäre sie durch römisches Gesetz geschützt. In besetzten Gebieten tauschen wir nur die Herrscher aus, verlangen Steuern und rekrutieren Soldaten. Ansonsten greifen wir nicht in die lokale Kultur ein. Wir helfen sogar manchmal … wie jetzt.“ Die Männer kamen aus den einzelnen Gebäuden zurück und alle meldeten, nichts gefunden zu haben.

Das Gesicht des Priesters färbte sich rot: „DAS KANN NICHT SEIN! Ich habe sie vor einigen Tagen gesehen, hier auf dem Hofplatz.“ Er zeigte in Richtung des Tempelhäuschens. „Habt ihr da drin alles genau angeschaut?“ Die Männer, die im Tempelhäuschen gesucht hatten, nickten: „Sie ist nicht da drin. Das ist ja auch nicht so groß. Du musst dich geirrt haben.“

Der Soldat schaute ihn grimmig an: „Du sagtest, sie ist sicher hier! Du sagtest, du hättest sie gesehen?“ Priester: „Ich habe sie gesehen.“ Soldat: „Dann zeig sie uns! Wir sind den ganzen Weg hier mit heraufgekommen.“ Der Priester schaute zu Klophas und rief: „Klophas, kommt hierher!“ Klophas legte die Feile auf den Tisch und kam zum Priester. Er begrüßte alle und staunte die römischen Uniformen an. Er wollte mit seiner Hand eine berühren und fragte den Soldaten: „Darf ich?“ Der Soldat schüttelte den Kopf.

Priester: „Dein Name ist Klophas. Du lügst nicht, oder? Wie der große Klophas. Du hast vorhin gesagt, dass ihr Sophia versteckt. Wo ist sie?“ Klophas: „Im Tempelhäuschen.“ Priester: „Zeig sie mir!“ Klophas: „Nein.“ Die Soldaten schauten den Priester überrascht an. Der wurde unsicher. Priester: „Ich verlange, dass du sie holst! Als dein Priester deiner Stadt.“ Klophas: „Nach welchem Gesetz befiehlst du mir, sie zu holen?“ Der Priester schaute zu Boden und schwieg.

Soldat zum Priester: „Warum schaust du nicht selbst nach? Deine Leute scheinen dir ja nicht zu gehorchen.“ Der Priester schaute den Soldaten an und dann Klophas, schob diesen beiseite und ging in Richtung Tempelhäuschen. Im Häuschen stellte er sich in die Mitte des großen Raums und lauschte. Er schaute die Wände entlang, den Altar. Er sah nichts Auffälliges. Er schaute in den kleinen Raum neben dem großen, auch dort die Wände entlang und auf den Boden. Dann ging er zum großen Raum zurück, musterte den Boden. Stampfte an verschiedenen Stellen. Er schaute durch das kleine Fenster gegenüber der Tür hinaus. Dort lag der große Holzstapel für die Schreinerei.

Ein Engel stand, für den Priester unsichtbar, an der linken Seite der Altarwand und hielt die Hände auf einen Spalt in der Wand. Dort war eine Klappe, die einen Gang verdeckte, der zum Holzstapel nach draußen führte. Aber der Priester konnte nicht auf die Stelle schauen, weil der Engel dort stand. Er dachte nach. Der Engel wehte mit einem Handzeichen jeden Gedanken des Priesters weg, der in Richtung des Holzstapels ging. Der Priester wurde nervös. Er verstand nicht. Sie musste hier sein. Er fand keinen Hinweis. Er schaute noch einmal alles ab, was er vorher schon angeschaut hatte. Ein Soldat kam in den Raum und musterte auch die Wände, den Boden in beiden Zimmern. Er prüfte die Altarwand. Nachdem er alles angeschaut hatte, sagte er: „Sie ist nicht hier!“ Priester: „Sie muss hier sein. Klophas lügt nicht. Niemals.“ Soldat: „Alle Jungs in dem Alter lügen manchmal. Und auch Priester lügen manchmal.“ Er schaute ihn drohend an. Priester: „Ich habe sie gesehen! Glaube mir!“ Soldat: „Und ich weiß nicht, ob das stimmt, was du sagst, auch wenn du es wiederholst. Ich werde im Register einen Vermerk machen.“ Priester: „NEIN, bitte nicht! Bitte …“ Soldat: „Dann zeig sie uns. Wir sind hierhergekommen, weil du gesagt hast, dass sie hier ist und von Josef ein Kind erwartet. Und das sehe ich nicht. Römische Soldaten können nicht ungestraft von jüdischen Priestern für ihre Zwecke eingesetzt werden.“ Der Priester ging auf die Knie. Der Soldat warf ihm einen verächtlichen Blick zu und verließ den Raum. Der Priester sank auf den Boden und hielt sich die Hände über den Kopf.

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