Der Stall

Michael Schmidt

Kapitel 24

Es begann gerade dunkel zu werden, da sah Josef das erste Haus von Bethlehem. Er drehte sich freudig zu Sophia um und erschrak: „Sophia! … Ähmm… Maria! Was ist mit dir.“ Er hielt die Tiere an. Sofia hielt sich mit letzter Kraft an den Rücken der beiden Tiere fest. Ihre Lippen waren blau, ihr Gesicht weiß, ihre Augen fast geschlossen. Sie fiel Josef in die Arme. Er setzte sich mit ihr hin. Der Wind fegte zwischen die Tiere. Sophia zitterte am ganzen Körper. Josef hielt sie für einige Minuten fest in seinen Armen. Er flüsterte ihr ins Ohr: „Es ist nicht mehr weit. Wir sind fast da.“ Sophia reagierte nicht. Josef drückte sie fester an sich. Eine Träne rann ihm die Wange herunter. „So… Maria! Auf! Komm.“ Sophia hob ein klein wenig ihren Kopf. Sie nickte ihm zu und versuchte zu lächeln. Aber es gelang ihr nicht.

Joseph zog seinen Mantel aus und legte ihn um Sophia. Dann stand er auf, ging zum Ochsen und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich weiß, du bist mit deiner Kraft auch am Ende, aber kannst du sie noch einmal nehmen?“ Er versuchte so mit dem Ochsen zu reden, wie dies Sophia immer getan hatte, und der Ochse regte sich nicht, was ein gutes Zeichen war. Er half Sophia auf seinen Rücken. Sie legte sich ganz darauf und schmiegte sich an seinen Hals. So bewegten sie sich weiter. Im Dorf fand Josef schnell die Herberge, die er suchte. Sie lag am anderen Ende der Stadt. Er öffnete das Gartentor, ging zur Haustür und klopfte laut. Innen konnte er Licht sehen und er glaubte, das Prasseln eines Feuers zu hören. Der Wirt öffnete und schaute erstaunt auf Josef. Wirt: „Bist du …?“ Josef: „Ja! ––– Hallo Bruder.“ Er öffnete seine Arme.

Der Wirt reagierte nicht. Josef zog seine Arme zurück. Sie schauten sich in die Augen. Wirt: „Ich bin nicht dein Bruder. Dein Bruder …“ Josef: „Ich weiß! Wir waren mal wie Brüder. Erinnerst du dich?“ Wirt: „Vielleicht. ––– Weiß dein Bruder, dass du hier bist?“ Josef schaute ihn an. Wirt: „Hmm. Natürlich nicht. Wenn er herausfindet, dass ich dich unterbringe und ihm nichts davon sage, dann …“ Josef: „Nur für eine Nacht. Wir müssen uns aufwärmen und morgen ziehen wir weiter. Das erfährt niemand.“ Der Wirt dachte kurz nach und sagte dann: „Mein Haus ist voll. Ich habe nichts frei. Ich habe gerade noch eine Familie hereinbekommen. Es ist kein Platz.“ Josef: „Bitte! Meine Frau ist schwanger.“ Der Wirt schaute ihn entsetzt an: „WAS? Und dann willst du zu mir? Weißt du, was dein Bruder mit mir macht, wenn ich dir damit helfe?“ Er drängte Josef nach draußen und schlug die Tür zu. Josef schloss kurz die Augen und drehte sich dann um zu Sophia. Die kniete zwischen den Tieren und betete. Sie sah nicht schlimmer aus als vorher, sie hatte sogar ein wenig mehr Leben bekommen. Josef kniete vor ihr. Sophia sagte leise: „Er nimmt uns nicht, oder?“ Josef: „Nein. Mein Bruder weiß, dass ich komme. Er hat ihm gedroht.“ Sie umarmten sich.

Sophia: „Es gibt einen Weg. Ich weiß es.“ Aber sie klang nicht so leicht wie sonst, wenn sie so etwas sagte. Josef: „Es gibt eine Herberge, über deren Besitzer mein Bruder keine Macht hat. Der Wirt ist rau und sehr abweisend zu allen, aber er hat ein gutes Herz.“ Sophia: „Lass uns dorthin gehen.“ Sie stützten sich wieder zusammen auf die Tiere und gingen so in die Stadtmitte. Es war inzwischen ganz dunkel geworden. Josef stellte sich vor das Haus des zweiten Wirts und rief so laut er konnte: „LEVI! Komm heraus. Hier sind Menschen in Not, die ein Dach für heute Nacht brauchen.“ Ein Fenster öffnete sich: „WER FRAGT?“ Josef antwortete ein wenig leiser: „Josef … von Nazareth.“ Zweiter Wirt: „Kenne ich nicht. Verschwinde.“ Er schloss das Fenster.

Sophia war aufgestanden und zu Josef gekommen. Sie klammerte sich an ihn: „Josef, ich glaube, das Kind kommt bald. Es kann nicht hier geboren werden.“ Josef legte seine Hand auf ihren Kopf und rief so laut er konnte: „LEVI! Wir kennen uns. Wir brauchen nur ein Bett für eine Nacht.“ Mit einem lauten Krachen schlug die Tür auf. Der Wirt stand da mit einer Mistgabel in der Hand: „MACH DASS DU FORTKOMMST, DU HUNGERLEIDER! Ich habe nichts für dich außer dem hier.“ Er hob die Mistgabel in die Höhe.

Sophia sah die Mistgabel und sank in sich zusammen. Der Wirt ging ins Haus und schlug die Tür mit einem lauten Krachen zu. Josef zuckte zusammen. Er schaute auf Sophia, hielt sie in seinen Armen. Sie war schwach und konnte fast nicht mehr aus ihren Augen schauen. Dann öffnete sie die Augen ein wenig, schaute Josef an und sagte: „Es tut mir Leid, Josef, ich kann nicht mehr …“ Dann wurde sie ohnmächtig. Er beugte sich über sie, umarmte sie und schloss die Augen. Ein Schüttelfrost durchfuhr ihn. Er konnte seinen Körper für einige Augenblicke nicht kontrollieren. Dann nahm er sie behutsam in den Arm und flüsterte: „Komm, wir müssen weiter. Wir müssen einen Platz finden für das Kind.“ Er legte Sophia wieder behutsam auf den Ochsen und nahm die Tiere am Halsband. Er zog daran, aber der Esel blieb stehen. Josef zum Esel: „Komm! Wir müssen weiter. Wir müssen einen Platz finden.“ Er zog wieder. Aber der Esel bockte. Ein weiterer Schüttelfrost fuhr ihm durch den Körper. Er sank auf seine Knie.

Eine Hand klopfte ihm von hinten auf die Schulter. Er drehte seinen Kopf und schaute hinter sich. Dritter Wirt: „Komm, ich habe einen Stall mit ein wenig Heu drin. Gleich dadrüben. Da könnt ihr bis morgen bleiben.“ Josef drehte sich um und schaute ihn erstaunt an. Dann nahm er alle Kraft zusammen, nahm die Hand des Wirts und stand auf. Er schaute ihm in die Augen: „Danke dir, Bruder!“ Er hob Sophia zitternd vom Ochsen und trug sie zu dem Stall. Der Wirt brachte die beiden Tiere. Drinnen bereitete Josef ein Lager aus Heu zwischen den Tieren und legte Sophia darauf. Er dankte dem Wirt nochmals und der schloss das Tor hinter ihnen. Josef legte sich neben Sophia, legte seinen Mantel über sie beide, umarmte sie und versuchte zu schlafen. Er war unendlich erschöpft und müde, aber er konnte nicht einschlafen, weil er zu sehr fror.

Dann sah er eine Maus von der Stallwand zu ihm herüberlaufen. Er schaute ihr müde nach. Sie kam näher, lief am Ochsen entlang, auf ihn zu und verkroch sich dann unter dem Stroh direkt zwischen ihm und dem Ochsen. Er sah sie verwundert an. Sie schien keine Angst zu haben und war vielleicht einen halben Meter von ihm entfernt. Eine weitere Maus kam und legte sich dazu, dann noch eine. Dann kam eine Katze in den Stall, kam auch heran und drückte sich gegen den Ochsen, rieb ihren Kopf einige Male an ihn und fing dann an zu schnurren. Josef schaute auf: Da war ein Fuchs! Der Fuchs lief hinüber auf die Seite von Sophia und legte sich direkt neben sie, er schmiegte sich an. Es kamen immer mehr Tiere und Josef kam aus dem Staunen nicht heraus. Alle waren friedlich und suchten sich nur einen Platz, an dem sie ruhen konnten. Ein Waschbär kam und dann einige Hunde, die sonst in den Bergen rund um Nazareth streunten. Auch Josef blieb innerlich ganz ruhig. Er gähnte. Es kamen immer mehr Tiere, es wurde voller und voller ….. und wärmer und wärmer.

Amon zog seinen Fuß nah an sich heran und hielt ihn mit beiden Händen. Er saß auf einem kleinen Lammfell. Gegenüber saßen Gallum und Nahor. „Es wird dunkel! Und es ist sau kalt. Vielleicht ist das ja schon der kälteste Tag.“ Gallum: „Das macht keinen Unterschied für uns, ob der Messias heute geboren wird oder nicht. Es gibt da nichts für uns zu tun. Außerdem hat dein Priester auch noch gesagt, dass er erst in dreißig Jahren kommt.“ Nahor brummte von hinten: „Das ist der Körper, den der Messias bekommt, der jetzt geboren wird, der Mensch, das, was er von der Erde bekommt. Der Messias ist kein Mensch. Er ist ein Gott.“ Gallum grummelte: „Okay. Ist mir egal.“ Er gähnte.

Amon schaute Nahor überrascht an: „Woher kam das jetzt?“ Nahor lächelte ihn an und zuckte mit den Schultern: „Ein Gedanke. Er kam einfach so.“ Dann gähnte er auch. Amon: „Brüder, wir haben eine Nacht vor uns. Und ihr seid jetzt schon müde? Was ist los mit euch?“ Er schaute die beiden an. Sie drehten ihre Rücken zueinander, lehnten sich an und schliefen ein. Amon gähnte auch: „Warum werde ich so müde? Ich muss wach bleiben, wenn die anderen schlafen!“ Dann drehte er sich auch mit dem Rücken zu ihnen, versuchte seine Augen offen zu halten und schlief kurz darauf auch ein. Alle drei schienen bewegte Träume zu haben, sie rutschten im Schlaf hin und her, drehten die Köpfe, zuckten manchmal und sprachen laut.

Plötzlich wachten alle drei gleichzeitig auf. Gallum sprang auf, rutschte dabei auf einer kleinen Eisfläche aus, die sich auf einem Stein gebildet hatte, und fiel hin. Gallum: „Aua! Teufel! Ist das kalt. Der Boden ist gefroren.“ Er hielt sich den Arm. „Und dabei hatte ich gerade so einen unglaublichen Traum. Unglaublich.“ Amon: „Ich auch. Ich hatte auch einen unglaublichen Traum. Wie als wäre ich da drin gewesen. Aber erzähl, was hast du gesehen?“ Gallum: „Gesehen und gehört: Einen riesengroßen Engel. Direkt vor uns. Und er sprach und sprach. Wie Donner, so eine Stimme. Und dann viele, viele Engel über den ganzen Himmel verteilt. Ein …, ein …, ein Feld, ein Meer von Engeln. Und sie haben gesummt oder so.“ Er versuchte den Klang nachzumachen, gab aber schnell auf. „Nicht so. Anders. Und der große Engel hatte wirklich eine Stimme wie Donner.“ Amon: „Was hat er gesagt?“ Gallum schaute ihn mit großen Augen an: „Ich weiß nicht mehr. Moment ––– das Messiaskind … es friert und ist in einem Stall in Bethlehem. Wir müssen ihm helfen! Jetzt!“ Amon: „Mir hat er gesagt, es hat Durst und kann nicht bei der Mutter trinken. Wir brauchen einen Krug mit Schafmilch.“ Gallum schlug Nahor auf die Schulter: „Und bei dir? Was hast du gehört?“ Nahor: „Dass das Messiaskind in einem Stall in Bethlehem geboren ist und wir es finden, wenn wir den Engeln am Himmel folgen.“ Alle schauten nach oben und sahen nichts. Sie suchten eine Weile, aber der Himmel war schwarz und leer. Sie schauten sich an. „Egal“, sagte Amon, „wir werden es finden. Zuerst gehen wir nach Bethlehem hinunter.“ Er sprang auf und die beiden anderen folgten ihm.

In diesem Augenblick erglänzte der Himmel von dem Licht von unzähligen Engeln, wie eine bewegte Wolke schwebten sie über den drei Hirten. Sie war wunderschön. Mit weit aufgerissenen Augen und Mündern staunten die Hirten in Richtung der Wolke. Nach einer Weile schlug Gallum Amon an den Arm: „Wir müssen los!“ Amon: „Warte! Ich brauche noch die Milch.“ Er ging zu den Schafen und griff in die Kiste, wo noch ein Krug mit Schafmilch stand. Gallum kam und suchte sich unter den Schaffellen, die sie hatten, das schönste und weichste heraus. Er stopfte es sich unter seinen Mantel, direkt auf seinen Bauch: „So wird es schön warm werden bis wir da sind.“ Nahor rief: „Und bring den Geldsack.“ Amon: „Den ganzen?“ Nahor: „Natürlich! Du weißt ja nicht, wie viel sie brauchen.“ Amon nahm Krug und Geldsack und die drei machten sich auf den Weg. Plötzlich hielt er an: „Und wer passt auf die Schafe auf? Wir können die Herde nicht einfach alleine lassen.“ In diesem Augenblick hörten sie ein nahes Bellen. Ein großer, kräftiger, schlanker Hund kam langsam auf sie zu und legte sich vor sie auf den Boden. Er bellte sie an. Ein zweiter Hund kam und stellte sich neben ihn. Die Hirten und die Hunde schauten sich eine Zeitlang an, dann meinte Nahor: „Sie haben Anweisungen, denke ich. Genau wie wir. Lasst uns gehen.“ Die beiden anderen nickten zustimmend und alle drei rannten los. Die hell erleuchtete Engelwolke über ihnen bewegte sich Richtung Tal.

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